Das Institut für Soziale Arbeit der Fachhochschule SG, Agroscope sowie AGRIDEA haben im Projekt «Synergien zwischen landwirtschaftlicher, bäuerlich-hauswirtschaftlicher und sozialer Beratung nutzen» das Zusammenwirken bzw. fehlende Schnittstellen dieser Beratungssysteme analysiert und Lösungsansätze erarbeitet.

Ausgangspunkt für die Studie bildete die These, dass komplexe soziale Problemstellungen in Bauernfamilien bestehen, aber nicht systematisch und/oder nicht zu einem sinnvollen Zeitpunkt vom landwirtschaftlichen ins soziale Beratungssystem weitergeleitet werden und umgekehrt.

Die Studienergebnisse beruhen auf 31 Interviews, welche mit Bauernfamilien mit persönlich-familiären Problemlagen, Fachpersonen der landwirtschaftlichen, bäuerlich-hauswirtschaftlichen und sozialen Beratung sowie mit weiteren Personen geführt wurden. Dabei konnten sowohl Berg- als auch Talgebiete in sieben Deutschschweizer Kantonen abgedeckt werden.

Enge Verflechtung von Betrieb und Familie

Die Resultate zeigen auf, dass bei Bauernfamilien mit sozialen Problemstellungen die enge Verflechtung von beruflichem und privatem Alltag bzw. Betrieb und Familie zu teils sehr komplexen Konstellationen führt: Probleme im einen oder anderen Bereich können selten voneinander isoliert betrachtet oder bearbeitet werden.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass die Interviewten den landwirtschaftlichen Bereich als etwas Eigenes sehen und auch die Wahrnehmung von aussen so ist. Ein Verständnis der landwirtschaftlichen Eigenheiten wird Aussenstehenden vielmals abgesprochen. Dieses «Eigene» betrifft auch den Umgang mit sozialen Problemen. Bei den interviewten Bauernfamilien überwiegt denn auch die Meinung, dass soziale Probleme innerhalb der Familie und ohne Hilfe von aussen zu lösen sind. Dazu kommt, dass diese Bauernfamilien betriebswirtschaftlichen Komponenten mehr Gewicht geben als sozialen Problemstellungen innerhalb der Familie.

Gründe für fehlende Zusammenarbeit

Ein weiteres Ergebnis der Studie betrifft die Gründe für das fehlende Zusammenwirken der beiden Beratungssysteme «Landwirtschaft» und «Soziales»: Die in den Interviews festgestellte, häufige Tabuisierung sozialer Problemlagen in der Landwirtschaft erschwert oder verunmöglicht ein Erkennen und Angehen der Schwierigkeiten von aussen. Wegen der Angst vor Stigmatisierung bestehen hohe Hemmschwellen für Bauernfamilien, mit der – sozialen oder landwirtschaftlichen – Beratung in Kontakt zu treten. Dazu kommen gegenseitige Vorurteile der landwirtschaftlichen und sozialen Beratung sowie eine beiderseitige Unkenntnis über das andere Beratungssystem und seine Angebote, die eine Zusammenarbeit behindern.

Die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit der beiden Beratungssysteme sind jedoch gut: Die Berater/innen für den bäuerlichen Betrieb und Haushalt kennen Lebenswelt und Umstände der Bauernfamilien, sind vor Ort und überblicken meist den beruflichen wie den privaten Bereich. Das soziale Beratungssystem demgegenüber hat hilfreiche Angebote und angemessene Kompetenzen, mit Bauernfamilien soziale Themen erfolgreich zu bearbeiten. Zudem sind diese Fachpersonen es gewohnt, auf verschiedenste Lebensweisen und Gesellschaftsschichten einzugehen.

Fazit der Untersuchung ist: Die beiden Beratungssysteme «Landwirtschaft» und «Soziales» sollten effizient und effektiv für jeweils ihren Kompetenzbereich genutzt werden. Teils wird gefordert, dass ein Beratungssystem für alles zuständig und entsprechend kompetent sein soll. Dies ist aber wenig sinnvoll. Für beide Beratungssysteme «Landwirtschaft» und «Soziales» gilt es, Ängste und Hemmschwellen der Bauernfamilien ernst zu nehmen und beiderseitige stereotype Bilder zu hinterfragen bzw. ihnen entgegenzuwirken.

Empfehlungen der Studie

Die vorgeschlagenen Empfehlungen sollen es erlauben, umfassend auf die oben genannten Erkenntnisse zu reagieren und die möglichen Synergien einer Zusammenarbeit der Beratungssysteme «Landwirtschaft» und «Soziales» zu nutzen. Nachfolgend die wichtigsten Empfehlungen.

Interinstitutioneller Austausch

In Gremien wie z. B. den Sozial- bzw. Landwirtschaftsdirektorenkonferenzen oder der Konferenz der Landwirtschaftsämter der Schweiz sollte über das Thema «soziale Problemstellungen in der Landwirtschaft» informiert werden und ein Austausch zu Verbesserungsmöglichkeiten stattfinden.

Interinstitutionelle Zusammenarbeit

Zwischen den beiden Beratungssystemen sollte eine formelle Zusammenarbeit aufgebaut werden. Dabei könnte das sogenannte Case Management zur koordinierten Bearbeitung komplexer Problemstellungen angewandt werden.

Eine von beiden Beratungssystemen akzeptierte und klar bezeichnete Koordinationsstelle könnte eine effektive Zusammenarbeit zwischen den Beratungssystemen einleiten (Telefonhotline oder Webpage).

Ein Verzeichnis mit den jeweiligen kantonalen und regionalen Beratungs- und Unterstützungsangeboten sollte erarbeitet werden.

Schlüsselpersonen, die ein Vertrauensverhältnis zu Bauernfamilien aufgebaut haben, aber selbst keine Unterstützung zu sozialen Problemstellungen bieten (Tierärzte, Agrotreuhänder/innen usw.), sollten sensibilisiert und mit Informationen ausgestattet werden.

Ein «Runder Tisch» mit Fachpersonen aus beiden Beratungssystemen könnte auf überregionaler Ebene initiiert werden, um den gegenseitigen Informationsaustausch zu fördern.

Anpassung von Grundlagen

Der Kontenrahmen der landwirtschaftlichen Buchführung sollte so angepasst werden, dass sie auch von nicht-landwirtschaftlichen Buchhaltungsfachpersonen verstanden wird (u.a. klare Trennung der Verbuchungen von Betriebs- und Familienaufwendungen).

Aus- und Weiterbildung

In der Aus- und Weiterbildung für Fachpersonen der land- bzw. hauswirtschaftlichen Beratung sollten soziale Probleme in Bauernfamilien und die entsprechenden sozialen Dienstleistungsangebote sowie die rechtlichen Vorgaben angesprochen und vermittelt werden.

In der Weiterbildung für Sozialarbeiter/innen, insbesondere in ländlichen Gebieten, sollte die Lebenswelt der Bauernfamilien thematisiert werden.

Literatur

Schlussbericht «Synergien zwischen landwirtschaftlicher, bäuerlich-hauswirtschaftlicher sowie sozialer Beratung nutzen». J. Brandstätter, S. Kuchen, M. Thoma: Institut für Soziale Arbeit IFSA-FHS, FHS St.Gallen: Chr. Jurt, Agroscope, Tänikon; Ueli Straub, AGRIDEA, Lindau. März 2015, St. Gallen

Esther Grossenbacher, BLW, Fachbereich Sozioökonomie und Evaluation, esther.grossenbacher@blw.admin.ch