Ländliche Räume und Berggebiete
Ländliche Räume und Berggebiete der Schweiz umfassen insgesamt 31 000 km2 oder 77 % der Landesfläche. 2011 lebte hier ein Viertel der Wohnbevölkerung in zwei Dritteln aller Gemeinden. Am 18. Februar 2015 hat der Bundesrat den im 2014 erarbeiteten Bericht «Politik des Bundes für die ländlichen Räume und Berggebiete» verabschiedet. Gleichzeitig hiess er auch einen Bericht zur Agglomerationspolitik des Bundes 2016+ gut. Beide Berichte sind eng aufeinander abgestimmt und machen deutlich, dass der Bund die Vernetzung raumrelevanter Bundesaufgaben sucht und sie auch nutzen will.
Die Politik für die ländlichen Räume und Berggebiete bildet eine wesentliche Grundlage für die schweizerische Raumentwicklung. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung des Raumkonzepts Schweiz, das ein Denken und Planen in übergreifenden Räumen fordert. Aufhänger und Auslöser für den vom Bundesrat verabschiedeten Bericht «Politik des Bundes für die ländlichen Räume und Berggebiete» sind eine Massnahme aus der Legislaturplanung 2011–2015 betreffend der «Entwicklung einer umfassenden Politik des ländlichen Raumes» sowie die Erfüllung der Motion Maissen «Strategie des Bundes für die Berggebiete und ländlichen Räume». Der Bericht selbst stützt sich auf zwei Grundlagenberichte, die unter der Leitung des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) bzw. des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE) erarbeitet und von Arbeitsgruppen begleitet wurden.
Diese Karte wurde dem Monitoringbericht ländlicher Raum entnommen, in dem für die Analysen die drei Raumtypen peripherer ländlicher Raum, periurbaner ländlicher Raum und alpine Tourismuszentren unterschieden wurden (Netzwerkstelle Regionalentwicklung 2011). Die Typologie basiert in erster Linie auf der Erreichbarkeit zur nächsten Agglomeration oder Einzelstadt, berücksichtigt aber auch wirtschaftliche Potenziale sowie die Einwohnerzahl einer Gemeinde. Für die Politik für die ländlichen Räume und Berggebiete werden diese Typen ergänzt, um der Vielfältigkeit und Heterogenität dieser Räume noch mehr gerecht zu werden. Die verwendeten Typen sollen jedoch keine für die Politik verbindliche Typisierung darstellen, sie geben vielmehr Anhaltspunkte über die unterschiedlichen Herausforderungen, Chancen und Risiken dieser Räume. Sie sollen zudem aufzeigen, dass für die gezielte Stärkung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der ländlichen Räume und Berggebiete ein territorialer Ansatz notwendig ist und nicht überall alles stattfinden soll.
Quellen: BFS, HAFL
Wirkungsperimeter / Handlungsräume
Die Politik des Bundes für die ländlichen Räume und Berggebiete versteht sich als eine Querschnittspolitik, die einen Orientierungsrahmen für verschiedene Sektoralpolitiken darstellt. Es besteht keine einheitliche statistische und allgemein akzeptierte Definition der ländlichen Räume und Berggebiete, die im Rahmen der Politik für diese Räume verwendet werden kann. Aus diesem Grund wird keine scharfe Abgrenzung des Wirkungsperimeters vorgenommen. Das Raumkonzept (2012) gibt jedoch vor, dass eine gewünschte räumliche Gesamtwirkung nur mit einer Planung erzielt werden kann, die institutionelle und sektorielle Grenzen überschreitet. Der Perimeter soll je nach Massnahme und beteiligten Sektoralpolitiken dem dafür passenden funktionalen Raum entsprechen. Dabei ist es wichtig zu berücksichtigen, dass die Heterogenität der ländlichen Räume und Berggebiete sehr gross ist. Angepasst an die Herausforderungen, sollten dementsprechend spezifische Massnahmen genutzt werden.
Herausforderungen und Lücken
Der Bericht startet mit der Auslegung der Bedeutung und Wichtigkeit der ländlichen Räume und Berggebiete sowie ihren Definitionen (Teil A: Rahmenbedingungen). Er verweist nicht nur auf den Lebens- und Wohnraum der ansässigen Bevölkerung, sondern auch auf (Multi-) Funktionen als Wirtschafts-, Erholungs- und Identifikationsraum sowie die hohen Natur- und Landschaftswerte der ländlichen Räume. Die Dynamik der Globalisierung, des gesellschaftlichen Wandels und der Umweltveränderungen beeinflussen die Entwicklung der ländlichen Räume und Berggebiete ungemein und stellen gleichzeitig eine grosse Herausforderung für sie dar. Aufgrund der Heterogenität der ländlichen Räume und Berggebiete akzentuiert sich die Bandbreite der Herausforderungen. Während die periurbanen ländlichen Räume von starkem Siedlungswachstum und Zersiedlung betroffen sind, sehen sich die peripheren ländlichen Räume mit der Abwanderung und Überalterung konfrontiert.
Charakterisierung der Raumtypen
Periurbane ländliche Räume sind dadurch gekennzeichnet, dass das nächste städtische Zentrum mit dem Auto in der Regel innert max. 20 Minuten erreicht werden kann. Periurbane ländliche Räume liegen also unweit von Agglomerationen bzw. Einzelstädten.
Periphere ländliche Räume sind mehr als 20 Minuten vom nächsten Agglomerationszentrum entfernt und liegen ausserhalb des Mittellandes. Sie weisen oft ökologisch wertvolle traditionelle Kultur- und Naturlandschaften auf und sind teilweise von Stagnation und Abwanderung betroffen.
Alpine Tourismuszentren sind durch ihre Lage im Alpenraum, hohe Logiernächtezahlen und eine gute bis sehr gute Dienstleistungs- und Infrastrukturausstattung gekennzeichnet.
Klein- bzw. mittelstädtische Zentren verfügen über mindestens 8500 bzw. 40 000 EinwohnerInnen. Sie erfüllen eine wichtige Zentrumsfunktion auf regionaler oder nationaler Ebene.
Ländliche Zentren bezeichnen ländliche Gemeinden mit wichtigen zentralörtlichen Funktionen für das Umland (Bildung, Gesundheitswesen, Verwaltung und Versorgung, aber auch Arbeitsplätze). In der Regel zählt ein ländliches Zentrum mehr als 5000 EinwohnerInnen.
Berggebiet: Die Definition basiert auf der Ende 2007 ausgelaufenen Investitionshilfegesetzgebung (IHG) des Bundes, welche im Alpenraum und im Jura total 54 Regionen unterscheidet. Sie orientiert sich am wirtschaftlichen Potenzial eines Raumes.
Agglomerationen im Berggebiet sind jene Agglomerationen, die sich im IHG-Perimeter befinden. Sie erfüllen eine wichtige Zentrumsfunktion.
Multifunktionale Talböden haben eine Zentrumsfunktion im Alpenraum. Sie sind dynamische Wirtschaftsmotoren und werden intensiv genutzt.
Die Analyse macht auch deutlich, dass bereits heute eine grosse Zahl von sektoralpolitischen Instrumenten und Massnahmen mit direkter oder indirekter Wirkung in den ländlichen Räumen und Berggebieten besteht. Sie sind zum Teil seit langer Zeit etabliert und geniessen einen hohen Stellenwert in Politik und Bevölkerung. Das vielfältige Engagement des Bundes hat aber die Konsequenz, dass ein breites Nebeneinander von politischen und rechtlichen Vorgaben besteht. Obschon die meisten Instrumente und Massnahmen kohärente Zielsetzungen aufweisen, zeigen sich aber auch Widersprüche und Überschneidungen, wodurch auf der Umsetzungsebene Nutzungskonflikte entstehen können.
Vision, Ziele und strategische Handlungsansätze
Die beiden Expertenberichte dienten der Formulierung eines Politikkonzeptes mit einer Vision, mit langfristigen Zielen, strategischen Handlungsansätzen und den Instrumenten und Massnahmen zur Umsetzung der Ziele (Teil B: Vision, Ziele und Handlungsansätze).
Die Vision berücksichtigt die Vielfalt der ländlichen Räume und Berggebiete sowie deren spezifische Potenziale. Sie orientiert sich an den Funktionen, die diese Räume durch ihre Besonderheiten übernehmen und fordert, dass gemeinsam mit dem Bund, den Kantonen und anderen relevanten Akteuren tragfähige Perspektiven zu entwickeln sind. Deutlich wird festgehalten, dass sich die ländlichen Räume und Berggebiete nur in Partnerschaft mit den Agglomerationen entwickeln können (vgl. Kasten).
Vision für eine nachhaltige Entwicklung der ländlichen Räume und Berggebiete der Schweiz
Die ländlichen Räume und Berggebiete leisten in ihrer Vielfalt und mit ihren spezifischen Potenzialen sowie mit der Nutzung der funktionalen Beziehungen mit den Agglomerationen einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der Schweiz. Für Wohn- und Arbeitsstandorte bestehen langfristige Entwicklungsperspektiven und eine gesicherte Qualität von Natur und Landschaft sowie von Erholungsgebieten.
Innovative und unternehmerische Akteure sind in der Lage, auf kommunaler und regionaler Ebene zusammen mit Bund und Kantonen und im internationalen Austausch zukunftsorientierte Antworten auf wirtschaftliche, soziale und umweltbezogene Herausforderungen zu entwickeln. Gemeinsam mit den urbanen Räumen prägen die ländlichen Räume und Berggebiete die Identität, das Image und damit die Entwicklung der Schweiz.
Neben der Vision wurden vier langfristige Ziele festgelegt, welche die anzustrebenden Zustände der ländlichen Räume und Berggebiete beschreiben. Die Ziele benennen die vier wesentlichen Aspekte der zukünftigen Entwicklung dieser Räume, die gemeinsam von Bund, Kantonen, Gemeinden und Regionen verfolgt werden sollen. Sie sind die Antwort auf die beschriebenen Herausforderungen sowie die identifizierten Lücken. Die Ziele reflektieren überdies die Dimensionen der Nachhaltigkeit: Umwelt, Wirtschaft, Gesellschaft.
Damit die Umsetzung der Politik langfristig Erfolg haben kann, sollen sich die staatlichen Aktivitäten an fünf strategischen Handlungsansätzen orientieren. Mit dem Zusammenführen der Ziele und der Handlungsansätze erfährt das Politikkonzept des Bundes eine Matrixstruktur (vgl. Graphik).
Die strategischen Handlungsansätze zielen auf eine Stärkung der Akteure ab. Geschaffen werden sollen eine verbesserte Koordination und neue Kooperationsformen, die über institutionelle und sektorale Grenzen hinweg reichen.
Besondere Aufmerksamkeit erhält dabei der Handlungsansatz «Governance». Der Ansatz bezeichnet allgemein das Steuerungs- und Regelungssystem von Strukturen und verdeutlicht damit das Zusammenwirken von Politikbereichen und Akteuren wie Staat, Verwaltung, privater oder öffentlicher Organisationen. Das Governance-Modell umfasst zwei Koordinations- und Steuerungsrichtungen: horizontal und vertikal. Während die horizontale Koordinations- und Steuerungsrichtung auf die Abstimmung der Zusammenarbeit der verschiedenen Sektoralpolitiken auf der jeweiligen staatlichen Ebene abzielt, beschreibt die vertikale Richtung die Abstimmung zwischen den Akteuren der verschiedenen staatlichen Ebenen (Bund, Kantone, Gemeinden) sowie jenen der Zivilgesellschaft. Zudem zeichnet sich das Governance-Modell durch ein Zusammenspiel von Top-down- und Bottom-up-Ansätzen aus. Damit soll sichergestellt werden, dass die raumwirksamen Sektoralpolitiken besser abgestimmt werden und den unterschiedlichen räumlichen Voraussetzungen vermehrt Rechnung getragen wird.
Instrumente und Massnahmen zur Umsetzung der Politik
Im letzten Teil des Berichtes werden die Instrumente und Massnahmen vorgestellt (Teil C: Umsetzung der Politik des Bundes). Sie haben die Lücken zu schliessen, die im Analyseteil aufgedeckt wurden und Handlungsbedarf auslösen. Die vorgeschlagenen Instrumente und Massnahmen sollen die Koordination der auf die ländlichen Räume und Berggebiete wirkenden Sektoralpolitiken sowie deren Kohärenz mit den formulierten Zielen verbessern. Des Weiteren sind die lokalen Akteure vermehrt in die Governance miteinzubeziehen, damit ihre Anliegen auf Bundesebene besser vertreten sind. Dies alles soll mit neuen sowie mit (weiterentwickelten) bereits bestehenden Instrumenten und Massnahmen angegangen werden.
Als Konsequenz der verbesserten Vernetzung der raumrelevanten Bundesaufgaben zeigt der Bericht auch mehrere Instrumente und Massnahmen auf, die gemeinsam mit der Agglomerationspolitik getragen und umgesetzt werden. Er unterstreicht deutlich die Absicht, differenzierte Lösungen in den unterschiedlichen Räumen zu finden. In praktisch allen Massnahmen und Gremien miteingebunden ist die Landwirtschaft.
Übersicht der Instrumente und Massnahmen
A) Instrumente und Massnahmen der Politik ländliche Räume und Berggebiete
Räumlich-strategische Prozesse auf Regionsebene
Unterstützung lokaler und regionaler Initiativen
Stärkung des Bundesnetzwerkes Ländlicher Raum
B) Gemeinsame Instrumente und Massnahmen der Politik für die ländlichen Räume und Berggebiete und Agglomerationspolitik
Modellvorhaben nachhaltige Raumentwicklung
Pilotprogramm Handlungsräume (PHR)
Regionale Innovationssysteme (RIS)
Tripartite Konferenz
Verordnung über die raumordnungspolitische Koordination der Bundesaufgaben
Wissensmanagement Raumentwicklung Schweiz
Fazit und Implikationen für die Landwirtschaft
Mit dem Bericht werden die verschiedenen Politikbereiche des Bundes für die ländlichen Räume und Berggebiete erstmals konsequent aufeinander abgestimmt. Dies betrifft auch die Landwirtschaft, die sich in diesen Räumen als eine wichtige Akteurin versteht. Eine noch bessere Vernetzung der Sektoralpolitiken und eine Intensivierung der horizontalen und vertikalen Kooperation eröffnen Chancen. So kann vor allem eine bessere horizontale Koordination z. B. helfen, Nutzungskonflikte frühzeitig zu erkennen und anzugehen und so Kompromisse oder andere gute Lösungen zu finden. Durch eine bessere vertikale Koordination einschliesslich der Zusammenarbeit mit Partnern vor Ort kann die Umsetzung von Bundespolitiken auf regionaler Ebene vereinfacht werden. Regionen, die eine räumliche Strategie erarbeiten, werden darin unterstützt und regionale, lokale Initiativen, die dem Ansatz des Bottom-up folgen, werden weiterhin gefördert. Investitionshilfen für gemeinschaftliche Massnahmen (u. a. Projekte zur regionalen Entwicklung, Gesamtmeliorationen), Direktzahlungen (wie Landschaftsqualitätsbeiträge) oder auch Massnahmen aus dem Bereich von Produktion und Absatz (Kennzeichnung) sind Beispiele von landwirtschaftlichen Instrumenten, die durch die Steigerung der regionalen Wertschöpfung oder die Offenhaltung der Landschaft in Räumen wirken. Eine räumliche Flexibilität des agrarpolitischen Instrumentariums wird auch künftig eine Herausforderung sein und eine Daueraufgabe bleiben.
Literatur
Schweizerischer Bundesrat (2015): Politik des Bundes für die ländlichen Räume und Berggebiete; Bericht in Erfüllung der Motion 11.3927 Maissen vom 29. September 2011. Für eine kohärente Raumentwicklung Schweiz. Bericht vom 18. Februar 2015. Bern
Schweizerischer Bundesrat (2015): Agglomerationspolitik des Bundes 2016+. Für eine kohärente Raumentwicklung Schweiz. Bericht vom 18. Februar 2015. Bern
Staatssekretariat für Wirtschaft SECO (2014): Expertenbericht zuhanden des SECO für eine Strategie des Bundes für die Berggebiete und ländlichen Räume der Schweiz. Überreicht durch die Mitglieder der Strategiegruppe «Motion Maissen». Bern, Juni 2014.
Thomas Maier, BLW, Fachbereich Agrarökonomie, Raum und Strukturen
Daniel Baumgartner, BLW, Fachbereich Agrarökonomie, Raum und Strukturen, daniel.baumgartner@blw.admin.ch
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