Die Agrarpolitik soll die Landwirtschaft so lenken, dass sie möglichst die Leistungen anbietet, welche von der Schweizer Bevölkerung gewünscht werden. Um detailliert über die Ansprüche der Bevölkerung im Bild zu sein, hat das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) zum zweiten Mal nach 2007 (Brandenberg et al. 2007) eine Studie zu den Erwartungen der schweizerischen Bevölkerung an die Landwirtschaft in Auftrag gegeben. Im Vordergrund standen dabei drei Fragen: Welche Erwartungen hat die Bevölkerung insgesamt an die Landwirtschaft? Gibt es in der Bevölkerung Gruppen mit klar verschiedenen Erwartungen? Wie stark sind diese Gruppen verbreitet?

Repräsentative Umfrage in der Schweizer Bevölkerung

Um obige Fragen zu beantworten, wurden 1141 Personen aus allen Sprachregionen mittels eines Onlinefragebogens befragt. Für die Befragung wurde ein Verfahren gewählt, das die Befragten auffordert, die Wichtigkeit von insgesamt 26 vorgegebenen Erwartungen abzuwägen. Die Befragten erhielten mehrmals hintereinander je vier verschiedene Erwartungen zur Auswahl. Aus diesen vier mussten sie jeweils die für sie wichtigste und die unwichtigste Erwartung auswählen. In der Folge wurden die Erwartungen immer wieder neu kombiniert, bis sich ein «Erwartungs-Code», der allen vorgegebenen Erwartungen einen Wichtigkeitswert zuweist, abzeichnete. Der Vorteil dieser Befragungsmethode liegt darin, dass sich die Teilnehmenden klar zwischen den verschiedenen Erwartungen entscheiden müssen: Sie können nicht alles wichtig finden.

Die Bevölkerung hat klare Prioritäten

Die Befragung zeigte, dass der Bevölkerung die naturnahe Produktion von Nahrungsmitteln und die Erhaltung der ökologischen Vielfalt durch schonende Produktionsverfahren besonders wichtige Anliegen sind. Die Bevölkerung bewertet auch die Erhaltung des fruchtbaren Bodens für die Produktion von Nahrungsmitteln sowie die Sicherung guter Lebensbedingungen für die in der Landwirtschaft tätigen Menschen sehr hoch. Beides deutet darauf hin, dass die Bevölkerung die wirtschaftlichen Grundlagen der bestehenden Landwirtschaft erhalten möchte. Die hohe Wertschätzung einer breiten Auswahl an regional und lokal produzierten Nahrungsmitteln lässt zudem vermuten, dass für die Bevölkerung auch eine dezentrale landwirtschaftliche Produktion wichtig ist. Zu den am höchsten bewerteten Erwartungen gehört weiter auch die Einhaltung hoher Standards beim Tierschutz.

Gruppiert man die verschiedenen Erwartungen nach Themengebiet, so sieht man, dass die Bevölkerung im Bereich der Nahrungsmittelproduktion hohe Ansprüche an die Qualität landwirtschaftlicher Produkte hat. Sie wünscht sich naturnah produzierte Nahrungsmittel, die auch durch ihre geschmackliche Qualität überzeugen. Detaillierte Informationen über die Herkunft und Produktionsart werden von einem Teil der Bevölkerung relativ hoch, insgesamt aber eher durchschnittlich wichtig beurteilt. Das Erwartungskriterium preisgünstige Nahrungsmittel wird von der Bevölkerung insgesamt relativ tief bewertet. Dies bedeutet nicht, dass die Verfügbarkeit preisgünstiger inländischer Nahrungsmittel unwichtig ist. Es gibt durchaus Bevölkerungsgruppen, die das Kriterium preisgünstige Nahrungsmittel relativ hoch bewerten. Insgesamt scheinen der Bevölkerung aber viele andere Erwartungen an die Landwirtschaft deutlich wichtiger zu sein.

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In Bezug auf die Produktionsbedingungen wünscht sich die Bevölkerung gute Bedingungen für die in der Landwirtschaft lebenden Menschen sowie die Einhaltung ökologischer Standards in der Produktion. Markant tiefer werden Erwartungen bewertet, die auf eine möglichst hohe Effizienz des Produktionsprozesses abzielen. Allerdings sind gerade bezüglich solcher Kriterien die Bewertungsunterschiede zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gross.

Bei der Bereitstellung von Agrarökosystemleistungen hat die Bevölkerung eine klare Präferenz für die möglichst weitgehende Erhaltung des fruchtbaren Bodens für die Produktion von Nahrungsmitteln. Diese Erwartung ist in der Bevölkerung breit abgestützt. Sogar noch etwas höher – allerdings auch uneinheitlicher – wird das Kriterium «Erhaltung einer vielfältigen Pflanzen- und Tierwelt durch eine schonende Bewirtschaftung der Nutzflächen» bewertet. Beides spricht dafür, dass die Bevölkerung mit der Landwirtschaft neben der Ernährungssicherheit auch landschaftsgestalterische und ökologische Anliegen verbindet.

Gruppen mit unterschiedlichen Erwartungen

Das aggregierte Erwartungsprofil der Bevölkerung verdeckt, dass erhebliche Unterschiede zwischen den Erwartungen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen bestehen. So stehen neben Erwartungen, die von der Bevölkerung einheitlich hoch bewertet werden (z. B. gute Bedingungen für die in der Landwirtschaft lebenden Menschen) auch Erwartungen, die insgesamt zwar hoch, aber relativ uneinheitlich beurteilt werden (z. B. Erhaltung möglichst vieler Familienbetriebe).

Diese Unterschiede erlauben eine Einteilung der Bevölkerung in drei Gruppen, welche etwas plakativ mit «Ökologen/-innen», «Ökonomen/-innen» und «Bewahrern» umschrieben werden können. «Ökologen/-innen» bewerten Erwartungen, welche ökologische Standards in der Produktion adressieren, auffällig hoch. Sie wünschen sich die Einhaltung hoher ökologischer Standards in der Produktion, sind offen gegenüber innovativen, ressourcenschonenden Produktionsverfahren und wünschen sich die Einhaltung hoher Standards im Tierschutz. Sie sehen landwirtschaftliche Produkte aus der Perspektive des anspruchsvollen, gesundheitsbewussten und verantwortungsvollen Konsumenten. Das Ziel der «Ökologen/-innen» sind landwirtschaftliche Betriebe, die sich auf die umweltschonende, naturnahe Produktion von qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln konzentrieren – auch wenn dies der regulativen und finanziellen Stützung bedarf.

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Demgegenüber möchten «Ökonomen/-innen» die Landwirtschaft deutlich stärker als die anderen Erwartungstypen an wirtschaftlichen Kriterien wie Effizienz und Rentabilität ausrichten. Sie haben deutlich ausgeprägter als der Rest der Bevölkerung eine ökonomische bzw. finanzielle Sicht auf die Landwirtschaft. Diese bezieht sich vor allem auf die Erwartungsdimensionen Produkt, Produktangebot und Produktionsbedingungen. «Ökonomen/-innen» bewerten preisgünstige Nahrungsmittel und ein breites, saisonunabhängiges Angebot wesentlich wichtiger als die anderen Erwartungstypen. Dasselbe gilt für die Erwartung an eine rationelle, kostengünstige Produktion. Das Ziel der «Ökonomen/-innen» sind kostengünstig produzierende Betriebe, die unter kompetitiven Rahmenbedingungen rentabel wirtschaften.

«Bewahrer/-innen» heben die wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft für den ländlichen Raum hervor, und sprechen ihr neben dem Versorgungsauftrag auch eine wichtige sozio-kulturelle Rolle zu. Sie möchten die bäuerlichen Strukturen und die bäuerliche Kultur bewahren. Technische Innovationen und Produktionsoptimierungen – insbesondere mit dem Ziel, Nahrungsmittel kostengünstiger und saisonunabhängiger zu produzieren – bewerten «Bewahrer/-innen» als eher wenig wichtig.

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In der Bevölkerung ist der Erwartungstyp «Ökologen/-innen» insgesamt am stärksten vertreten. Knapp 42 % der Bevölkerung möchten, dass sich die Landwirtschaft primär an ökologischen Standards orientiert. Knapp 25 % der Befragten dürften zu den «Ökonomen/-innen» zählen, weil sie die Landwirtschaft stark an wirtschaftlichen Zielsetzungen ausrichten möchten. Gut 33 % der Befragten gehören zu den «Bewahrern/-innen». Obwohl die Studien 2015 und 2007 nicht vollumfänglich vergleichbar sind, lassen die Ergebnisse vermuten, dass die Gruppe der «Ökologen/-innen» (plus 6 %) zulasten der «Ökonomen/-innen» (minus 2 %) und «Bewahrer/-innen» (minus 4 %) gewachsen ist.

Die Abgrenzung zwischen den Erwartungstypen ist jedoch keinesfalls scharf. So gibt es z. B. unter den «Ökonomen/-innen» etliche Befragte, welche – ähnlich wie die «Bewahrer/-innen» – die Erhaltung der bäuerlichen Familienbetriebe hoch bewerten. Ähnliche Überscheidungen finden sich zwischen allen Erwartungstypen.

Agrarpolitik ist auf dem richtigen Weg

Die Umfrage hat gezeigt, dass die Schweizer Bevölkerung klare Erwartungen an die Landwirtschaft hat. So sind ihr die naturnahe Produktion von Nahrungsmitteln sowie die Erhaltung der fruchtbaren Böden durch schonende Bewirtschaftung und der ökologischen Vielfalt besonders wichtig. Mit der Agrarpolitik 2014-2017 wurde das Direktzahlungssystem auf die Förderung von diversen Leistungen – wie z. B. die Pflege der Kulturlandschaft – durch die Landwirtschaft fokussiert. Dieser klare Fokus der Agrarpolitik wird die Landwirtschaft dabei unterstützen, die Erwartungen der Bevölkerung zu erfüllen. Gleichzeitig wird die Agrarpolitik – dank den gleichbleibenden Mitteln – auch dazu beitragen, dass die Lebensqualität der in der Landwirtschaft tätigen Personen hoch bleibt, und somit einer der wichtigsten Erwartungen der Bevölkerung in Bezug auf die Landwirtschaft nachkommen.

Bereits in der Studie aus dem Jahr 2007 wurde der Schluss gezogen, dass die Erwartungen der Bevölkerung «genau jenen Aufgaben entsprechen, welche der Landwirtschaftsartikel in der Verfassung der Landwirtschaft zuteilt». Diese Aussage lässt sich mit der vorliegenden Studie auch acht Jahre später bestätigen: Artikel 104 der Bundesverfassung wird deshalb auch in Zukunft eine fundierte Basis für die Weiterentwicklung der Agrarpolitik darstellen.

Die vollständige Studie ist unter diesem Link zu finden.

Simon Briner, BLW, Direktion, simon.briner@blw.admin.ch