Die Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) sowie die Haute école de travail social Genève (HETS) haben 2015 gemeinsam die Studie «Lebensbedingungen und Handlungsansätze von Bauernhaushalten in schwierigen Situationen» durchgeführt. Sie untersuchten dabei, wie Bauernhaushalte ihre materielle und immaterielle Situation wahrnehmen, wie sie mit schwierigen Finanzsituationen umgehen und weshalb in der Regel die Betriebe nicht aufgegeben werden, trotz schwierigen ökonomischen und/oder sozialen Situationen.

In einem ersten Studienteil wurden die beiden Erhebungen «Statistics on Income and Living Conditions» (SILC) und «Schweizer Haushaltspanel» (SHP) analysiert, um die soziale Situation von bäuerlichen Haushalten anhand von monetären und nicht-monetären Indikatoren zu messen. Im zweiten Teil wurden in der Deutschschweiz, Westschweiz und der italienischsprachigen Schweiz Interviews mit Bäuerinnen und Landwirten durchgeführt, die in schwierigen Einkommenssituationen leben.

Interviewte fühlen sich nicht armutsbetroffen

Die Interviews mit 32 Bauernfamilien haben gezeigt, dass es keinen typischen Bauernhaushalt gibt, welcher als armutsgefährdet bezeichnet werden könnte. Schwerwiegende finanzielle Schwierigkeiten bzw. Armut können jeden Landwirt und jede Bäuerin treffen, unabhängig von der Ausbildung der Betriebsleitenden, der Lage und Grösse des Betriebes und der Betriebszweige. Trotz schwierigen Finanzsituationen nehmen sich fast alle Interviewpartner/innen nicht als armutsbetroffen wahr. Die finanzielle Situation wiegt jedoch schwer und wird von allen Interviewten als belastend empfunden, etwa der Umstand, Rechnungen aufschieben zu müssen, weil die flüssigen Mittel zur Zahlung fehlen. Einige Interviewte machen Einsparungen bei den Nahrungsmitteln und viele verzichten aufgrund finanzieller Überlegungen auf Ferien.

Wie die Gespräche zeigten, beginnen finanzielle Schwierigkeiten in den meisten Fällen mit der Hofübernahme bzw. legt die Hofübernahme das finanzielle Fundament so kritisch, dass das Eintreffen eines Risikos oder einer Erkrankung/eines Unfalls den Bauernhaushalt in eine Spirale der Prekarität treiben kann. Die Bauernhaushalte ergeben sich aber nicht passiv ihrem Schicksal, sondern verfolgen diverse Strategien, um ihren Betrieb zu optimieren und finanziell wieder auf gesunde Beine zu stellen: Etwa durch eine innerbetriebliche Diversifizierung, einen Nebenerwerb oder mit Rückgriff auf das soziale Netz.

Quantitative Analysen zeigen vergleichbare Entbehrungen

Die Analysen der beiden Erhebungen SILC und SHP zeigten, dass ein Teil der Schweizer Bauernhaushalte armutsbetroffen ist: So befinden sich gemäss SILC rund 7 % der Bauernhaushalte in Situationen ernsthafter finanzieller Entbehrung. Das heisst, sie leben unter der an landwirtschaftliche Spezifika angepassten, vom Bundesamt für Statistik (BFS) benutzten und der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) vorgegebenen Armutsgrenze. Der Anteil der Bauernhaushalte liegt dabei zwischen dem Anteil ihrer Vergleichsgruppen, der je nach Gruppe zwischen 3 und 11 % liegt. Rund ein Viertel der Bauernhaushalte befindet sich in einer Situation relativer finanzieller Entbehrung; das heisst sie haben ein Einkommen, das weniger als 60 % des Medianeinkommens beträgt. Dieser Anteil ist höher als jener der Vergleichsgruppen, der zwischen 3 und 16 % liegt.

Da Einkommensmessungen in Umfragen generell schwierig sind und im Besonderen bei Selbständigen, wurde auch die materielle Situation untersucht. Ein Haushalt wird als von materieller Entbehrung betroffen definiert, wenn er aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen keinen Zugang hat zu einer bestimmten Anzahl Güter und Dienstleistungen, wie etwa Auto oder auswärtige Ferien. Die Analysen haben aufgezeigt, dass die materielle Lebenssituation von Bauernhaushalten vergleichbar ist mit der Situation der entsprechenden, nicht-bäuerlichen Bevölkerungsgruppen. Das heisst, dass Schweizer Bauernhaushalte zu einem ähnlichen Anteil wie die vergleichbaren Haushalte von materieller Entbehrung betroffen sind.

Betriebsaufgabe ist keine Option trotz schwieriger Situation

Die quantitativen Analysen zeigen, dass Selbständige in der Landwirtschaft mit ihrem Einkommen zufriedener sind als andere Selbständige in derselben Einkommens- und Lebenssituation. Dieser Unterschied kann durch landwirtschafsspezifische, positive Aspekte wie die Arbeit mit den Tieren und in der Natur erklärt werden. Bei den Betrieben mit schwierigen finanziellen Situationen und materiellen Entbehrungen kann dies auch erklärt werden als eine gewisse Anpassung der Erwartungen und Wünsche an das, was mit den bescheidenen Finanzressourcen möglich ist. Dadurch halten Bauernhaushalte solche Situationen über lange Zeit aus, was aber zusätzlich zu psychischen und physischen Belastungen und Beschwerden führen kann. Es kann auch passieren, dass der Haushalt von der «Substanz» des Betriebes lebt und diese langfristig aufbraucht. Die Interviews zeigten, dass der Ausstieg aus der Landwirtschaft trotz widrigen Umständen für die untersuchten Bauernhaushalte keine Option darstellt und dass dieses Festhalten an der Landwirtschaft durch das Höhergewichten der Vorteile des bäuerlichen Lebens, die angepassten Erwartungen sowie durch sozialen und familiären Druck, insbesondere betreffend Hofnachfolge, erklärt werden kann.

Literatur

Schlussbericht Projekt «Lebensbedingungen und Handlungsansätze von Bauernhaushalten in schwierigen Situationen», Sandra Contzen, Eric Crettaz und Jérémie Forney sowie unter Mitarbeit von Florence Matthey, Maria Klossner, Laura Ravazzini und Isabel Häberli, Hochschule für Agrar-, Forst- und  Lebensmittelwissenschaften HAFL sowie Haute école de travail social Genève HETS, Juni 2015

Esther Grossenbacher, BLW, Fachbereich Sozioökonomie und Evaluation, esther.grossenbacher@blw.admin.ch